Das Warehouse Management System (WMS), auch Lagerverwaltungssystem (LVS) genannt, ist eine unverzichtbare Software für die Steuerung und Verwaltung von Beständen (siehe auch Bestandsverwaltung) und Lagerorten innerhalb geschlossener Betriebe (bspw. Distributionszentren oder Fertigungsanlagen). Strukturell ordnen sich WMS-Lösungen normalerweise unterhalb eines Host-Systems ein, wie bspw. dem Enterprise-Resource-Planning (ERP).
Für wen sind WMS-Systeme von Interesse?
Software-seitige Unterstützung ist für alle Akteure interessant, die Lagerhaltung betreiben. Je komplexer und größer der Lagerbestand, desto sinnvoller ist es, diesen mit geeigneter Software zu organisieren. Betreiber überschaubarer Lager (bspw. Garage oder Kellerraum) sowie klassische stationäre Einzelhändler, bei denen Warenbestände auf den Geschäftsflächen selbst hinzukommen, haben dabei ganz andere Ansprüche als Betreiber großer Lager. Während für die eine Gruppe wenig spezialisierte Lösungen ausreichend sind, die mitunter auch als Bestandteil anderer Systeme angeboten werden, empfiehlt es sich für andere, spezialisierte Lösungen zu nutzen, die den Bereich Lager in höherem Detailgrad abbilden und effizienter regeln.
In Bereichen, in denen die Bestandsverwaltung derart groß und komplex wird, dass die Intralogistik ein eigenständiger Unternehmensbereich ist, also normalerweise im Kontext der Steuerung ganzer Lagerhäuser, werden WMS-Lösungen zur modernen Lagerverwaltung unumgänglich. Während in Lagersituationen mit Fokus auf manuelle Tätigkeiten auch Microsoft Excel noch gute Dienste leisten kann (in der Praxis durchaus noch üblich), sind entsprechende Systeme bei Distributionszentren, die auf den Einsatz automatisierter Fördertechnik setzen, unumgänglich. So spielen WMS-Lösungen für die meisten Betreiber komplexer Intralogistik-Anlagen eine zentrale Rolle. Besonders von Interesse sind Warehouse-Management-Systeme demnach für große Unternehmen aus Industrie und Handel sowie Logistikdienstleister mit eigener Lager-Infrastruktur (vgl. 3PL und ‘Warehousing‘). Von Fertigung über E-Commerce bis direkte Distribution, von Fashion über Zulieferung bis Pharma, WMS kommen in allen Bereichen und Branchen zum Einsatz.
Was definiert ein WMS / LVS?
Oder anders ausgedrückt: Wann sind die Funktionalitäten eines Systems ausreichend, um es auch als vollwertiges WMS anzusehen?
Die objektivste Antwort auf die Frage danach, liefert der Verein Deutscher Ingenieure (VDI). In der Richtlinie VDI 3601 “Warehouse Management Systeme” welche Anforderungen erfüllt sein müssen, um als Warehouse Management System (WMS) / Lagerverwaltungssystem (LVS) zu gelten. Zusätzliche Informationen zur VDI 3601 sind in einem gesonderten Beitrag zusammengestellt, einen umfassenden Überblick zum Leistungsumfang von entsprechenden Warehouse-Systemen findet sich hier.
Funktionalität von Warehouse-Management-Systemen in Lagerbereichen
Ein Warehouse-Management-System verwaltet alle Bestände und Prozesse eines Lagers. Als Faustregel kann alles innerhalb der vier Wände eines Lagers dazu gezählt werden. Prozessseitig erstreckt sich der Zuständigkeitsbereich des WMS von Wareneingang bis Warenausgang, wobei abhängig vom jeweiligem Softwareanbieter und System auch angrenzende Bereiche wie Hof- und Torverwaltung berücksichtigt, werden können. Dementsprechend unterstützt hochwertige Warehouse-Software in allen möglichen Aufgaben und Bereichen der Lagerverwaltung.
Wareneingang
Im Bereich des Wareneingangs bieten Warehouse-Management-Systeme (WMS) umfassende Funktionen zur Optimierung der Sendungsverwaltung im Wareneingang. Dazu gehören vorausschauende Planung und die automatische Lieferantenzuordnung, um Lieferungen effizient steuern zu können. Mit Barcode-Scanning und RFID-Erfassung wird die Wareneingangserfassung beschleunigt und präzisiert. Ein Abgleich mit Bestellungen ermöglicht es, Fehlmengen oder Überbelieferungen sofort zu erkennen. WMS-Software unterstützt zudem die Qualitätsprüfung und die Etikettierung der Waren, wodurch die Artikel-Logistikdaten in Echtzeit aktualisiert werden und automatisch eine Zielvergabe von Lagerplätzen vorgenommen wird. Retouren werden durch spezialisierte Workflows verwaltet. Digitale Dokumentation ermöglichet papierlose Archivierungsfunktionen. So wird der Wareneingang effizienter, transparenter und fehlerfreier gestaltet, was die Lagerhaltung und den gesamten Lieferprozess optimiert.
Lagerung, Bestands- und Platzverwaltung
Software für die Lagerverwaltung ist darauf ausgelegt, die Transparenz und Effizienz in der Lagerung zu steigern. Gut organisierte Lagerverwaltung wirkt sich positiv auf die gesamte Supply Chain aus. Durch die Automatisierung von Lagerprozessen, etwa bei der Umlagerung oder dem Nachschubmanagement, können Engpässe vermieden, Fehler minimiert und die Produktivität gesteigert werden. Software-gestützte Lagerplatzverwaltung ermittelt bei der Einlagerung den geeignetsten Lagerort für jedes Produkt. Dabei werden Faktoren wie Größe, Gewicht oder Umschlagshäufigkeit berücksichtigt, was zu reduziertem Zeitaufwand für das Ein- und Auslagern führt. In der Bestandsverwaltung liefern sie dynamisch angepasste präzise Informationen über den aktuellen Bestand, dessen Mengen und Standorte. Durch Echtzeit-Daten werden Fehlbestände vermieden und die Lieferbereitschaft kann erhöht werden.
Auftragsabwicklung
Die Auftragsverwaltung, die den gesamten Prozess von der Auftragsannahme bis zur Auslieferung automatisiert und transparent gestaltet, steht hier im Zentrum. Das WMS ermöglicht es, Aufträge in Echtzeit zu erfassen und durchgehend zu überwachen. Im Rahmen der Auftragssteuerung das Lagerverwaltungssystem bedeutet das eine effiziente Priorisierung und Zuweisung von Aufträgen an das Lagerpersonal, basierend auf Faktoren wie Dringlichkeit oder Lagerort. Dies beschleunigt die Kommissionierung und den Versand. Durch die Integration von Trackingmechanismen und mobilen Geräten wird die Präzision erhöht, während die Echtzeit-Daten dazu beitragen, Engpässe und Verzögerungen zu vermeiden. Fehlerfreie Abwicklung im Lager wirkt sich zudem positiv auf die Kundenbindung aus.
Materialflusssteuerung
An die Auftragsabwicklung schließt der Materialfluss als Unterkategorie der Lagerverwaltung nahtlos an. Durch automatisierte Prozesse im Management des Lagerbestandes sorgt das WMS dafür, dass Waren effizient eingelagert, umgelagert und kommissioniert werden. Dabei wird der Materialfluss in Echtzeit überwacht, um Engpässe oder Verzögerungen zu vermeiden. Hier kommen Lösungen zum Einsatz, die als Materialflusssteuerung oder auch Materialflussrechner (MFR) bezeichnet werden. Mithilfe von in Echtzeit angepasster Wegeoptimierung können sie dazu beitragen, dass Ware den kürzesten und schnellsten Weg durch die Infrastruktur des jeweiligen Lagers nimmt. Berücksichtigt werden dazu sowohl die Architektur bzw. Topologie des Lagers, die verbaute Fördertechnik, von Hochregallager, Automatischem Kleinteilelager oder CubeStorage-System über Taschensorter bis hin zu Fahrerlosen Transportsystemen, als auch manuelle Prozesse, wie Picking oder Kommissionierung. Letztere können über MDE-Geräte teilautomatisiert und unterstützt werden. Die Auswahl der kürzesten Wege spart Zeit und Ressourcen. Das WMS unterstüzt im Materialfluss durch automatische Benachrichtigungen, wenn der Bestand unter einen bestimmten Schwellenwert fällt.
Management Tools
Gute Lagerverwaltungssysteme geben jederzeit Auskunft über das „Was“, „Wieviel“, „Wie“, „Warum“, „Wann“ und „Wo“. Daraus ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten für Monitoring und Qualitätskontrolle der Lagerlogistik. Mithilfe geeigneter Management-Tools für den operativen Intralogistik-Leitstand können Lageraktivitäten in Echtzeit überwacht werden. Wichtige Kennzahlen und Analysen können auf Intralogistik-Dashboards visualisiert werden, um den aktuellen Status der Prozesse sowie deren Effizienz zu bewerten – von Lagerumschlagshäufigkeit, über Auftrags- oder Postenerfüllungsquote bis hin zu Retourenquote. Arbeitsfortschrittsgrafiken ermöglichen eine genaue Steuerung und Anpassung der Abläufe. Tools zur Ressourcenplanung und zum Workforce-Management optimieren die Zuweisung von Personal und Geräten, um die Effizienz zu steigern. Durch diese Funktionen unterstützt das WMS die Prozessoptimierung kontinuierlich und hilft dabei, Engpässe zu erkennen und frühzeitig gegenzusteuern, wodurch die gesamte Lagerleistung verbessert wird.
Als Informationssystem bieten es außerdem detaillierte Informationen für vor- und nachgelagerte Systeme – Stichwort Business Intelligence. Neben dem operativen Leitstand im Lager profitieren folglich auch Management-Werkzeuge anderer Unternehmensebenen von den aufbereiteten Daten.
Schnittstellen
Schnittstellen und mit ihnen einhergehende Flexibilität sind essenziell für die Integration des WMS in die gesamte IT-Landschaft des Unternehmens und tragen zur Optimierung der Logistikprozesse bei, indem sie reibungslose Abläufe mit externen Partnern und Systemen gewährleisten. Sie ermöglichen den Datenaustausch zwischen WMS und anderen Systemen wie ERP, CRM, EDI, Fördertechnik oder externen Systemen zur automatisierten Sendungsavise oder Zollabwicklung. Dies sorgt für einen reibungslosen Informationsfluss und verhindert Dateninseln.
Enorme Wichtigkeit besitzt das Thema auch im Kontext der Lagerautomatisierung. Systeme, die sich durch hohe Kompatibilität auszeichnen, ermöglichen die Integration und Koordination verschiedenster Technologien. Seien es Regalsysteme, Fördertechnik, Identifikationslösungen wie Barcode-Scanner und RFID oder der Einsatz Mobiler Endgeräte (auch ‚Handhelds‘). Performante, skalierbare Schnittstellen bewältigen Datenübertragung in Echtzeit und gewähren es dem Anwender, Lösungen ohne Bindung an einzelne Hersteller auszuwählen. Gerade im Kontext von Fahrerlose Transportsystemen (FTS; auch AGV) ist dies ein wiederkehrendes Bestreben. Dies wird vor allem durch die Schnittstellendefinition VDA 5050 verdeutlicht, welche für besonders anpassungsfähige WMS-Systeme, rein technisch betrachtet, jedoch nicht zwingend notwendig wäre (ökonomisch jedoch sinnhaft ist).
Kommissionierung
WMS unterstützen unterschiedliche Kommissionierstrategien wie Einzel-, Multi- oder Zonenkommissionierung, um den Prozess je nach Lageranforderung effizient zu gestalten. Zudem regeln sie die Nachschuborganisation, indem sie automatisch Nachschub aus dem Lager an den Kommissionierbereich veranlassen, sobald der Bestand sinkt. Ein WMS integriert auch mobile Endgeräte wie Handscanner, Tablets oder herkömmliche Smartphones, die das Lagerpersonal bei der Kommissionierung in Echtzeit führen und so Fehlerquoten reduzieren. Diese Geräte ermöglichen die präzise Identifikation und Erfassung von Artikeln. Durch die Anbindung an FTS- (Fahrerlose Transportsysteme) und Staplerleitsystemen steuert das WMS den Materialfluss und sorgt dafür, dass Waren automatisch und schnell zum richtigen Ort transportiert werden. Diese Funktionen beschleunigen die Kommissionierung, reduzieren Wege und steigern die Produktivität im Lager.
Packerei
Auch die Optimierung von Packprozessen durch Automatisierung und Transparenz fällt in den Aufgabenbereich von Lagerverwaltungssystemen. Die Software steuert die Konfektionierung bzw. Komplettierung der Aufträge, indem sie sicherstellt, dass alle Artikel korrekt zusammengeführt und verpackt werden. Zudem kann sie besondere individuelle Anforderungen wie beispielsweise ‘Special Handling’ für empfindliche oder spezielle Waren unterstützen. Eine weitere wichtige Funktion ist die Dokumentenerstellung. Das WMS erstellt automatisch Versanddokumente wie Lieferscheine, Etiketten oder Zollpapiere und sorgt dafür, dass diese korrekt und vollständig den Paketen beigefügt werden. Dies vereinfacht den gesamten Versandprozess und minimiert Fehler.
Durch die Integration der Packprozesse in das WMS wird der gesamte Ablauf von der Kommissionierung bis zum Versand effizienter gestaltet. Die Automatisierung und Echtzeit-Daten sorgen für eine hohe Genauigkeit und steigern neben Prozessgeschwindigkeit auch die Zufriedenheit beim Endkunden.
Warenausgang
Im Bereich des Warenausgang hilft das WMS bei der Konsolidierung von Aufträgen. Transportkosten werden minimiert, indem Aufträge gebündelt und zusammen verpackt werden. Die Lagersoftware trägt bereits vorab zu einer optimalen Tourbildung bzw. Routenplanung bei, indem sie Lieferungen nach Zielorten zusammenfasst und in eine sinnvolle Reihenfolge bringt. Für internationale Sendungen wird die Abwicklung durch automatisierte Zollprozesse erleichtert. ‚Tracking and Tracing‘-Funktionen sind über den Lagerprozess hinweg berücksichtigt, sodass sowohl der Versandstatus als auch die Sendungsverfolgung der Lieferungen in Echtzeit nachvollziehbar sind. Zu guter Letzt bewältigt das System den Versand und die Avisierung an Kunden oder Spediteure, wodurch alle beteiligten Parteien über den Versandzeitpunkt und jeweiligen Übernahmezeitpunkt informiert werden.
Yard Management
Außerhalb der vier Wände des Lagers, jedoch ebenso von WMS abgedeckt, ist der Bereich Yard Management bzw. Betriebshofmanagement zu nennen. Zweck ist die Optimierung der Abläufe auf dem Lagerhof. Eine zentrale Funktion ist die Stellplatzverwaltung von LKWs, die eine effiziente Zuordnung und Organisation der Parkplätze für ankommende und abfahrende Fahrzeuge gewährleistet. Dadurch wird der verfügbare Platz optimal genutzt. Zudem unterstützt das WMS die Zeitfensterverwaltung, durch die Ankunfts- und Abfahrtszeiten der LKWs koordiniert werden, um reibungslose Abläufe zu sichern und Wartezeiten zu minimieren. Echtzeit-Tracking ermöglicht es, den Status der Fahrzeuge sowie ihrer Ladung stets im Blick zu behalten, sodass Entladeprozesse effizienter gesteuert werden können. Durch die Integration von Hofmanagement-Prozessen mit Lager- und Versandabläufen sorgt das WMS für einen nahtlosen Übergang der Waren vom Transportfahrzeug ins Lager, was sowohl Produktivität als auch Gesamteffizienz auf dem Betriebshof steigert.
Die Verzahnung von Warehouse-Management-System und Anlagenarchitektur
Soll eine Lagerverwaltung eingeführt werden, müssen die individuellen Anforderungen (wie Lagertopologie und Durchlauf) berücksichtigt werden. So sind das WMS und die Anlagenarchitektur innerhalb eines Distributionszentrums unabdingbar miteinander verzahnt.
Bei der Wahl der passenden Lagerverwaltungssoftware bzw. des WMS sollte aus wirtschaftlicher Sicht darauf geachtet werden, dass es passgenau auf die jeweiligen Abläufe und Prozesse abgestimmt ist. Der Umfang des Systems sollte auch nicht größer sein, als benötigt, da unnötig komplexe Software negative Auswirkungen auf die Reaktionszeit haben kann.
Welche Anforderungen das Warehouse Management System erfüllen muss, sind in den Richtlinien des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) festgelegt.
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