Inspiriert von den bemerkenswerten Kollektivleistungen der Ameisen (vgl. Ameisenalgorithmus), können wir uns einige grundlegende Erkenntnisse für die Führungspraxis konkret zu Nutze machen: Prima Vista könnte man davon überzeugt sein, dass die einzelne Ameise einer starren Handlungsanweisung durch das Kollektiv folgt: „Geh´ auf Futtersuche, indem Du immer den intensiveren Pheromonen folgst.“ Dieser Auftrag enthält keine Freiheitsgrade und man könnte nun fälschlicherweise geneigt sein, daraus zu folgern, dass die einzelne Ameise keinen Spielraum in ihrer konkreten Nahrungssuche hat.

Der gedankliche Irrtum, der sich hier einschleicht, besteht darin, dass der Handlungsauftrag durch den Schwarm jedoch korrekterweise lautet: „Geh auf effiziente – verschwendungsfreie – Futtersuche“! Aber wie soll die Ameise, mit ihren beschränkten kognitiven Fähigkeiten, das übergeordnete Ziel verstehen? Das muss sie nicht! Der Handlungsauftrag lautet korrekterweise so, dass die Ameise dies mit ihren einfachen kognitiven und sinnlichen Fähigkeiten auch ausführen kann: Intensiveren Duftspuren häufiger zu folgen, als weniger intensiveren. In genau diesem Begriff „häufiger“ steckt der entscheidende Freiheitsgrad für die Ameise. Sie muss nicht immer der intensiveren Pheromonspur folgen, sie kann auch abweichen. Niemand schreibt der Ameise vor, welchen Weg sie zu einer konkreten Zeit an einem konkreten Ort einzuschlagen hat. Die Handlungsanweisung ist keine starre Vorgabe, sondern ein Ziel. Diese Zielvorgabe des Schwarms steht – mit gewissen verhaltensbiologischen Einschränkungen – nicht zur Disposition. Sie lässt kaum Freiheitsgrade zu. Die konkrete Durchführung hingegen sehr wohl. Nur das Ziel – die Ergebniserwartung – ist unter bestimmten Voraussetzungen vorgegeben, nicht jedoch das Mittel – der Weg – zum Ziel.

Diese Freiheit im konkreten Einzelfall ermöglicht erst die effiziente Ergebniserwartung und die Ergebniserwartung ermöglicht die Freiheit, die notwendig ist, um das Ergebnis effizient zu bewirken. Für die praktische Führung können wir daraus immens viel lernen. Handlungsanweisungen sollten demgemäß nicht die Mittel zu einem Ziel starr vorschreiben, sondern lediglich das Ziel, also die Ergebniserwartung.

Führung durch Ergebniserwartung – ein Praxisbeispiel

Die Ergebniserwartung eines Handelshauses, dass Versandaufträge der Produktgruppe X binnen 5 Werktagen ab Auftragseingang zu versenden sind, beinhaltet die notwendige Freiheit des Teams bzw. der Teammitglieder – Telefonverkauf, Auftragsbearbeitung, Disposition, Tourenplanung, Lagerwesen, Kommissionierung, Verpackung, Versand – flexibel ihre konkrete Arbeit kollektiv zu erledigen. Die konkrete Erwartung steht jedoch nicht zur Disposition. Die Zielvorgabe für das Team „binnen 5 Werktagen ab Auftragseingang versenden“ beinhaltet in der betrieblichen Praxis so viele Freiheitsgrade, dass die Zielvorgabe der Organisation – die Ergebniserwartung – durch konkrete Einzelfälle durch das Kollektiv effizienter erreicht wird, als durch starre konkrete Einzelanweisungen des Weges zum Ziel. Die Ergebniserwartung lässt jedoch gerade diese für das Ziel notwendigen Freiheiten zu. – Aber auch die Ergebniserwartung muss und wird in der betrieblichen Praxis nicht absolut starr im strengen Sinne sein. Auch diese kann und wird für einige Ausnahmefälle „Abweichungen“ zulassen. So kann die Zielvorgabe nun lauten: „Versenden aller Aufträge binnen 5 Werktagen ab Auftragseingang bzw. in begründeten Ausnahmefällen 7 Werktage ab Auftragseingang für Aufträge, die nicht pönalisiert sind.“ Diese Ergebniserwartung lässt somit nicht nur den konkreten Weg zum vorgegebenen Ziel offen, sondern lässt auch Priorisierungen im tolerierbaren Zielkorridor nach gewissen Regeln zu.

Warum ist Ergebniserwartung so wichtig?

Die Ergebniserwartung bewirkt in der Organisation die Freiheit des Schwarms selbst die konkreten Mittel zur Erreichung des Ziels im konkreten Einzelfall zu wählen. Diese Freiheit in der Mittelwahl generiert im Team kreative Lösungen der Wegfindung, erzeugt Interesse wie das Team – aus Teamsicht – raschere, bessere, effizientere, effektivere, aber auch flexiblere und anpassungsfähiger Lösungen finden kann. Auch wenn in der Praxis solche Gruppen und Teams manchmal chaotisch wirken sollten, ist das gleichzeitig die Stärke des Schwarms. Diese Freiheit der Mittelwahl ermöglicht das Ergebnis, also die Zielvorgabe, und die Zielvorgabe ermöglicht die Freiheit, die notwendig ist, um das Ergebnis zu bewirken, nämlich die effiziente und termingerechte Auslieferung von Aufträgen im Rahmen bestimmter klar umrissener Erwartungen.

Mechanismen des Schwarms:

Wesentliche Mechanismen des Schwarms kommen zum Tragen: Nutze das dezentrale Wissen des Schwarms, setze auf die Diversität der Teammitglieder in Bezug auf Fähigkeiten, Fertigkeiten, Erfahrungswissen, Talente usw. und aktiviere die Kommunikation und Interaktion der Schwarmmitglieder zur Förderung von Kreativität, Motivation und Einfallsreichtum und biete Anreize, dass das Team zu besseren Lösungen (schneller, qualitativer, robuster, effektiver, anpassungsfähiger). Durch Pool-Prämien für die Gesamtleistung kann in der Praxis folgendes erreicht werden:

  • Suche nach besseren Lösungen wird forciert
  • Kreative Lösungen werden eher zugelassen, wenn Vorteile winken
  • Zuteilung der jeweiligen Arbeiten je nach Talent, Erfahrung, Spezialwissen, Spezialfertigkeiten, besonderes Expertenwissen oder auch Erfahrungswissen
  • Gruppenzusammengehörigkeit steigt (Gruppenkohäsion)
  • Natürliche Kräfte der sozialen Gruppe (Team) werden aktiviert
  • Wettbewerb in der Gruppe fördert Steigerung der Einzelleistungen

Die angeführten Pool-Prämien müssen jedoch von Fall zu Fall auch durch Einzelprämien ergänzt werden. Es gibt zahlreiche leistungsmindernde Effekte in einer Gruppe, die vor allem dann auftreten, wenn der Einzelne sich auf den Schultern seiner Gruppenkollegen ausrastet, Stichwort: Soziales Faulenzen (Social Loafing) oder Trittbrettfahrer (free rider). Es liegt vor allem am Management wie die Prämiengestaltung aussehen soll. Leitlinie sollte auf zwei Säulen ruhen: Einerseits die Leistungskomponente und andererseits die soziale Komponente, ähnlich wie der Aufbau des berühmten Verhaltensgitters des Managerial Grid (Sachorientierung, Mitarbeiterorientierung). Konsequent zu Ende gedacht, lässt die Erkenntnis dieser Tatsache aus der Schwarmforschung viele Organisationen in der Praxis in ihren Grundfesten erschüttern.

Weitere Informationen finden Sie in dem Beitrag Schwarmintelligenz – Was wir Logistiker von Ameisen lernen können.

Bildquelle: prasongsom