Produkte und Dienstleistungen sind das Ergebnis des Zusammenspiels komplexer Prozesse zahlreicher Beteiligter entlang der Wertschöpfungskette (Supply Chain). Die Werte, die entlang der Supply Chain geschöpft werden, weisen einige wesentliche Leistungsmerkmale auf. So sind beispielsweise möglichst kurze Lieferzeiten für den Endkunden der Supply Chain ein immer wichtiger werdender Wunsch und wird somit zu einem bedeutenden Wettbewerbsfaktor. Wird dieser Kundenwunsch jedoch zum entscheidenden Kaufentscheidungsfaktor, dann kommt es entlang der Lieferkette zu immer stärker werdender Zeitkompression.

Lieferzeit und Termintreue

Die versprochene Lieferzeit gerät immer mehr in Konflikt mit einem weiteren – nicht minder wichtigen – Leistungsziel, nämlich der Termintreue. Die Termintreue ist der Zuverlässigkeisgrad der versprochenen Lieferzeit. Wird die Lieferzeit über Maßen verkürzt, gerät die Termintreue in einen unausweichlichen Konflikt mit der Lieferzeit, denn kürzest mögliche Lieferzeiten und höchstmögliche Termintreue werden somit zu konfliktären Leistungszielen der Logistik und der Supply Chain.

Atemlose Supply Chains

Lieferketten ohne Redundanzen (z.B. Pufferzeiten, Übergangszeiten, zeitliche Entkoppelungen stark streuender Prozesse, Pufferbestände) können nicht zuverlässig sein, weil bei geringsten Störungen keine Zeit mehr für „Selbstadjustierung“ (Bretzke) besteht. Somit werden die meisten Prozesse entlang der Lieferkette zeitkritisch. Das logistische System, die Lieferkette kann nicht mehr atmen und kann sich nicht mehr erholen. Jeder Zwischenfall, jede Abweichung, jeder kleine – auch menschliche – Fehler schlägt sich nun durch bis zum Endkunden und verletzt die versprochenen Leistungswerte.

Die Kosten der Ungeduld

Die Kosten der Ungeduld, wie ich es gerne bezeichnen möchte, ist die Verletzung der Zuverlässigkeit der Lieferung des Produktes oder der Dienstleistung, sprich der Termintreue. Zwischen Lieferzeit und Termintreue besteht somit ein operationalisierbarer und messbarer Zielkonflikt. Anhand eines einfachen – aus meiner Consultingpraxis didaktisch reduzierten – Praxisfalls, soll dies numerisch gezeigt werden:

Praxisbeispiel mit Zahlen

Das angesprochene Unternehmen ist Zulieferer von Flugzeugteilen und hatte vertraglich bestimmte Termintreuewerte zuzusagen. Im konkreten Fall waren die Termintreueanforderungen bei einem erfolgskritischen Großkunden mindestens 99 % der Aufträge (Einpositionsaufträge). Die mittlere Lieferzeit (von der Auftragsannahme bis zur Auslieferung an den Kunden) des Unternehmens – bei den angesprochenen Flugzeugteilen – war mit maximal 80 Kalendertagen noch wettbewerbsfähig. Tatsächlich aber schaffte der Flugzeugteilezulieferer nur ca. 70 % Termintreue und die einzelnen – teilweise komplexen – Prozesse waren bereits hoch zeitkomprimiert. Somit stellte sich für mich als externen Consultant die Frage: Wieviele Tage fehlen eigentlich, wenn wir eine Termintreue von 99 % seriös zusagen wollen (müssen)? Durch die Analyse der konfliktären – statistisch berechenbaren – Situation, ergibt sich bei entsprechender statistischer Berechnung, dass dem Unternehmen konkret ca. 13 Kalendertage fehlen. Somit müsste man bei seriöser Zusage von 99 % Termintreue bei den Aufträgen eine Lieferzeit von ca. 93 Kalendertagen angeben. Somit ist man in der verzwickten Lage, dass bei Zusage der Termintreue von mindestens 99 % die Lieferzeit von 93 Kalendertagen (80 + 13 Kalendertage) nicht wettbewerbsfähig ist. Wenn jedoch seriöserweise die Lieferzeit mit max. 80 Kalendertagen zuzusagen ist, dann kann man nur ca. 70 % Termintreue vereinbaren. – In der Praxis behilft man sich bei solchen Zielkonflikten einiger Tricks, z.B. der Priorisierung von Aufträgen zulasten anderer Aufträge. Freilich leiden aber andere Aufträge aufgrund dieser Zurückstellung.

Die Kosten der Ungeduld sind somit ein notwendiger Trade-Off zwischen (zu kurzer) Lieferzeit und (zu hoher) Termintreuezusage. In der konkreten Praxis wird man freilich in the long run weitere Prozessverbesserungen entlang der Liefer- und Leistungskette anstreben. Der Grundkonflikt jedoch zwischen Lieferzeit und Termintreue bleibt bei (zu) hoher Zeitkompression grundsätzlich bestehen.

Weitere Informationen zur Termintreue finden Sie in dem Beitrag “Von der Pünktlichkeit zur belastbaren Termintreue (ATP)“.

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